


Wie es sich anfühlt, bei uns zu sein
Zuerst anheimelnd.
Man tritt ein und spürt sofort: diesen Ort hab' ich nicht gesucht; ich habe ihn gefunden.
Dann beruhigend.
Die Tür fällt sanft ins Schloss, der Raum wird weit und öffnet sich. Draußen war Vergangenheit; hier ist Gegenwart.
Mit einem Male wird erkannt: hier gibt es Bücher, die wie gute Freunde sind. Sanft und rauh zugleich liegen Buchdeckel in der Hand. Den Blättern entströmt der Duft aus fernen Kindheitstagen. Wie
Schmetterlinge um Blüten tanzen meine Gedanken, der unhörbaren Musik des Textes folgend.
Finden, ohne zu suchen
Schmökern und Verweilen gehören zu jenen Tätigkeiten des Menschen, die ihn von sich und der Welt losreißen, um zu sich und in einer anderen Welt an zu kommen.
Was hier gefunden wird, ist nicht bewusst gesucht. Man empfindet es als geschenkt. Man stärkt die Kraft der Hingabe und Aufnahme zugleich.
Wir brechen auf, ohne Zweck und Ziel. Wir kehren heim mit belebten Sinnen und frischen Gedanken.
Ein Doppeljubiläum
120 Jahre Philosophie der Freiheit
110 Jahre Theosophie
Zwei Grundlagenwerke von Rudolf Steiner
Obwohl die Erstausgabe der Philosophie der Freiheit bereits im November 1893 erfolgte, wird allgemein 1894 als Erscheinungsjahr genannt. 10 Jahre später erschien ein weiteres Grundlagenwerk: Die Theosophie.
Anlässlich dieses Doppeljubiläums erscheint beim Verlag Freies Geistesleben eine Sonderausgabe dieser Erstausgaben.
Nebenstehend zwei kurze Auszüge zum Schmökern.
Philosophie der Freiheit
Grundzüge einer modernen Weltanschauung Seelische Beobachtungsresultate nach naturwissenschaftlicher Methode
Erscheinungsjahr: 1894
"Zwei Wurzelfragen des menschlichen Seelenlebens sind es, nach denen hingeordnet ist alles, was durch dieses Buch besprochen werden soll.
Die eine ist, ob es eine Möglichkeit gibt, die menschliche Wesenheit so anzuschauen, dass diese Anschauung sich als Stütze erweist für alles andere, was durch Erleben oder Wissenschaft an den Menschen herankommt, wovon er aber die Empfindung hat, es könne sich nicht selber stützen. Es könne von Zweifel und kritischem Urteil in den Bereich des Ungewissen getrieben werden.
Die andere Frage ist die: Darf sich der Mensch als wollendes Wesen die Freiheit zuschreiben, oder ist diese Freiheit eine bloße Illusion, die in ihm entsteht, weil er die Fäden der Notwendigkeit nicht durchschaut, an denen sein Wollen ebenso hängt wie ein Naturgeschehen? Nicht ein künstliches Gedankengespinst ruft diese Frage hervor. Sie tritt ganz naturgemäß in einer bestimmten Verfassung der Seele vor diese hin. Und man kann fühlen, es ginge der Seele etwas ab von dem, was sie sein soll, wenn sie nicht vor die zwei Möglichkeiten: Freiheit oder Notwendigkeit des Wollens, einmal mit einem möglichst großen Frageernst sich gestellt sähe.
In dieser Schrift soll gezeigt werden, dass die Seelenerlebnisse, welche der Mensch durch die zweite Frage erfahren muss, davon abhängen, welchen Gesichtspunkt er gegenüber der ersten einzunehmen vermag. Der Versuch wird gemacht, nachzuweisen, dass es eine Anschauung über die menschliche Wesenheit gibt, welche die übrige Erkenntnis stützen kann; und der weitere, darauf hinzudeuten, dass mit dieser Anschauung für die Idee der Freiheit des Willens eine volle Berechtigung gewonnen wird, wenn nur erst das Seelengebiet gefunden ist, auf dem das freie Wollen sich entfalten kann."
Theosophie
Einführung in übersinnliche Welterkenntnis und Menschenbestimmung
Erscheinungsjahr: 1904
"Ich gehe über eine mit Blumen bewachsene Wiese. Die Blumen künden mir ihre Farben durch mein Auge. Das ist die Tatsache, die ich als gegeben hinnehme. - Ich freue mich über die Farbenpracht. Dadurch mache ich die Tatsache zu meiner eigenen Angelegenheit. Ich verbinde durch meine Gefühle die Blumen mit meinem eigenen Dasein.
Nach einem Jahre gehe ich wieder über dieselbe Wiese. Andere Blumen sind da. Neue Freude erwächst mir aus ihnen. Meine Freude vom Vorjahre wird als Erinnerung auftauchen. Sie ist in mir; der Gegenstand, der sie angefacht hat, ist vergangen. Aber die Blumen, die ich jetzt sehe, sind von der selben Art wie die vorjährigen; sie sind nach denselben Gesetzen gewachsen wie jene.
Habe ich mich über diese Art, über diese Gesetze aufgeklärt, so finde ich sie in den diesjährigen Blumen so wieder, wie ich sie in den vorjährigen erkannt habe. Und ich werde vielleicht also nachsinnen: Die Blumen des Vorjahres sind vergangen; meine Freude an ihnen ist nur in meiner Erinnerung geblieben. Sie ist nur mit meinem Dasein verknüpft. Das aber, was ich im vorigen Jahre an den Blumen erkannt habe und dies Jahr wieder erkenne, das wird bleiben, solange solche Blumen wachsen.
Das ist etwas, was sich mir offenbart hat, was aber von meinem Dasein nicht in gleicher Art abhängig ist wie meine Freude. Meine Gefühle der Freude bleiben in mir; die Gesetze, das Wesen der Blumen bleiben außerhalb meiner in der Welt.
So verbindet sich der Mensch immerwährend in dieser dreifachen Art mit den Dingen der Welt. Man lege zunächst nichts in diese Tatsache hinein, sondern fasse sie auf, wie sie sich darbietet. Es
ergibt sich aus ihr, dass der Mensch drei Seiten in seinem Wesen hat. Dies und nichts anderes soll hier vorläufig mit den drei Worten Leib, Seele und Geist angedeutet werden. Wer irgendwelche
vorgefassten Meinungen oder gar Hypothesen mit diesen drei Worten verbindet, wird die folgenden Auseinandersetzungen notwendig missverstehen müssen."